(Dieser Artikel ist ursprunglich auf den Forum der DL 21 in eine etwa rohe Fassung publiziert worden. Der auf den rechten Seite befindend Slideshow ist ein klein Bestof meiner Fotos, aufgenommen während die Primaires, 7 Mai-16 Oktober 2011.)
Am 09 und 16 Oktober 2011 hat die französische Parti Socialiste (PS) ein neues Territorium betreten.
Nach amerikanischem Vorbild hat die PS die Entscheidung um den Spitzenkandidaten der Präsidenschaftswahlen allen Bürgern Frankreichs überlassen. Die Wähler mussten sich vorerst per Unterschrift dazu bereit erklären den Grundgedanken der Sozialdemokratie zuzustimmen, ausserdem wurde 1,00€ als Kostenbeteiligung abkassiert.
Und der Sieger ist :
Überraschend und in erster Linie die Parti Socialiste ! Als Kandidat wurde Francois Hollande klar vor Martine Aubry nominiert. Die Parti Socialiste konnte 2 Monate lang die gesamte Öffentlichkeit und die Medien in Atem zu halten. Dazu wurden die üblichen blamierenden internen Kämpfe und persönlichen Attacken vermieden. Im Gegenteil haben die 4 in Fernsehen ausgetragenen Debatten große Interessen hervorgerufen und positive Kommentare inspiriert. Gewürdigt wurden ebenfalls die knapp 180 000 Mitglieder, die durch eine einwinwandfreie Organisation, dieses Votum ermöglichten.
Insgesamt haben sich an den beiden 2 Wahlgängen (9. und 16. Oktober) mehr als 3,5 Millionen Franzosen beteiligt. 800 000 von ihnen haben ihre Kontaktdaten hinterlassen, um an künftigen Wahlkampfaktionen teilzunehmen. Die Kosten sind durch die Spenden mehr als abgedeckt worden. Der Sieger ist so klar nominiert worden, dass er entspannt alle Kandidaten, alle Parteiflügel, die Anhänger von Martine Aubry eingeschlossen, wieder um sich vereinen kann. Die UMP – die Partei von Sarkozy - ist so von dem Erfolg überrascht worden, dass seit 2 Monaten die "PS" und die "Primaire" das Hauptthema der internen Gespräche war. 2012 wird Sarkozy höchstwahrscheinlich nochmals kandidieren, aber die UMP denkt schon sehr ernst darüber nach, 2017 auch eine offene Vorwahl einzuführen. Kurz nach der "Primaire", den ersten Umfragen mehrerer Umfrageinstituten zufolge, haben sich mehr als 60% der befragten Franzosen, 2012 François Hollande, im zweiten Wahlgang gegen Nicolas Sarkozy abzustimmen.
Ursprünglich sollte diese offene Vorwahl das gesamte linke Lager vereinen. Die Grünen (Europe-Ecologie-les-Verts, EELV) und die Linke (Front de Gauche) hatten aber ihre Teilnahme abgelehnt und im Rahmen interner Vorwahlen ihre Kandidaten schon auserkoren (Eva Joly und Jean-Luc Mélenchon). Die PS hatte in einer internen Abstimmung ihr Programm schon Ende 2010 verabschiedet, alle 5 Kandidaten aus der PS haben diesem Parteiprogramm zugestimmt und akzeptiert. Die inhaltlichen Unterschiede waren daher eher minimal, es ging mehr um Priorisierung innerhalb des Programms, persönliche Durchschlagskraft und Umfragewerte in Vergleich mit Nicolas Sarkozy und Marine Le Pen.
6 Kandidaten hatten sich gemeldet :
Als erster, Manuel Valls, Abgeordneter und Bürgermeister einer Stadt in einem Arbeitervorort von Paris, er gilt als der rechte Flügel der Partei. Francois Hollande, Abgeordneter und Vorsitzender des Generalsrates des Departements "Correze", 11 Jahre lang Vorsitzender der PS (1997-2008), er gilt als der geistliche Erbe von Jacques Delors und Lionel Jospin.
Segolène Royal, Vorsitzende der Region Poitou-Charentes und ex-Präsidentschaftskandidatin in 2007, sie verfügt über ihren eigenen Kreis von Unterstützern. Sie hat sich jenseits der traditionellen linken und rechten Flügel der PS positionniert.
Martine Aubry, die Vorsitzende und Bürgermeisterin von Lille, Tochter von Jacques Delors, war von einer bunten Koalition innerhalb der PS unterstützt. Dazu gehört der linke Flügel « Un Monde d'Avance » um Benoît Hamon, und viele ehemalige Befürworter von Dominique Strauss-Kahn hatten sich Überraschenderweise dazu zusammengetan.
Arnaud Montebourg, Abgeordneter und "Departementsfürst" des burgundischen Departements Saône-et-Loire, war lange Mitglied des linken Flügels, dann wurde er 2006-2008 Pressesprecher von Segolène Royal. Sein Beitritt dem Kreis der Royal-Anhänger machte ihn für den linken Flügel nicht tragbar, dessen Anhänger sich für Martine Aubry erklärten. Montebourg hat ein Buch zum Thema « Entglobalisierung » kurz vor der Primaire herausgegeben, in dem er sich klar für eine Verfassungsreform im Sinne mehr Parlamentarismus stark gemacht.
Zuletzt, Jean-Michel Baylet war der einzige Kandidat, der nicht der Parti Socialiste, sondern der Zentrumlinken "Parti Radical" gehört.
Der große Favorit, der aber auch grundsätzlich von dem linken Flügel abgelehnt war, Dominique Strauss-Kahn, war wegen seiner Affären in New-York und Paris ausgeschieden.
Im ersten Wahlgang sind die 2 Favoriten eindeutig nach vorn gelandet : Francois Hollande mit 38%, Martine Aubry mit 31%. Überraschenderweise, als dritter mit 17%, kam Arnaud Montebourg mit seiner sehr kritischen Haltung zur Globalisierung, zu den Banken und zur Finanzkrise, klar vor Segolène Royal und Manuel Valls (jeweils um 6%) und Jean-Michel Baylet (knapp 1%). Alle ausgeschiedenen Kandidaten haben sich hinter Francois Hollande gestellt, Arnaud Montebourg erst am Donnerstag vor der Wahl, und ohne seinen Anhängern eine Wahlempfehlung zu geben.
Dieses Verfahren sieht dementsprechend eine Verlagerung der Entschlussmacht von der Parteimitgliedern zu einen erstmals nicht genauere definierte erweiterte Kreise, die auch die Stammwählern miteinbeziehen sollte. La Primaire Citoyenne erwies sich als der beste Mittel, eine Krisengeplagte zerstrittene Partei, die unfähig war ihre Führungsentscheidung zu treffen, davon zu erlösen und durch eine offene Vorwahl sowohl die Legitimität des Siegers als auch die Unbestreitbarkeit des gesamten Verfahren zu gewährleisten. Dieser Entmachtung ist von der Mitgliedern selbst mit knapp 70% der Stimmen in Oktober 2009 bei einen interne Parteiabstimmung entschieden worden.
Hintergrund sind die 2 bitteren Niederlagen in 2002 (Lionel Jospin bekam im ersten Wahlgang nur knapp 17% der Stimme, und kam als dritter hinter dem Rechtsextremisten Le Pen. Jospin war beim 2. Wahlgang nicht mehr im Rennen. 2007 nach dem überraschenden Sieg von Segolène Royal in einer internen Vorwahl gelang es der Partei nicht, sich wieder zu vereinen, was zu einer Niederlage im 2. Wahlgang gegen Nicolas Sarkozy führte. Dieser, zynischerweise, lockte mehrere ehemalige Minister und Staatssekretären aus der Parti Socialiste und dem linken Lager in seine Regierung
Der traditionelle Instrument der Beschluss und der Feststellung der Machtverhältnis hat auch sowohl in 2003 als auch in 2008 versagt. In 2003 hatte sich eine Mehrheit mit Francois Hollande, Segolène Royal, Martine Aubry, Dominique Strauss-Kahn, Laurent Fabius gebildet, die sich schon in 2004 über Europa zerstritt. Die Partei hat der VVE unterstützt, während Laurent Fabius beim ratifizierenden Referendum gegen den VVE Wahlkampf mit Erflog gemacht. Mit einer « Alles außer Royal » Front hinter Aubry fiel 2008 das Endergebnis um den Vorsitz zwischen Martine Aubry und Segolene Royal denkbar knapp. Dazu verpesteten Gerüchte um Manipulation bzw. Betrüge wegen der nur 102 Stimmen Vorsprung aus circa 130 000 abgegebenen Stimmen lange das Klima innerhalb der Partei.
Die Krise verschärfte sich nach dem Parteitag in Reims in November 2008 : ein Teil des linken Flügels entschied sich dazu, die PS zu verlassen, und dem deutschen Vorbild nach, die « Parti de Gauche » (Partei der Linke) um Jean-Luc Mélenchon zu gründen. Dieser neuen Partei gelang es bei der Europawahl in einem Wahlbündnis mit der Parti Communiste 6,5% und 4 Abgeordneten zu bekommen. Jean-Luc Mélenchon ist inzwischen der offizielle Kandidat zur Präsidentschaft von der Parti de Gauche, der Parti Communiste und ein paar Splitterparteien aus dem trotzkistischen Lager, das in Frankreich immer noch 3 bis 5% der Wähler für sich gewinnen kann.
Wie man sieht : die Parti Socialiste, die mit zwischen 80 000 und 180 000 Mitgliedern nie eine Volkspartei war, musste was tun. Weil die Institutionen in Frankreich stark personalisiert sind konnte sich die Partei nicht auf eine inhaltliche Erneuerung begrenzen. Die Partei hat sich selbst entmachtet, weil sie es nicht mehr alleine geschafft hat. Die Personalisierung hat sich durch die Primaires zwar noch verstärkt, die inhaltliche Debatte hat aber vorher innerhalb der Partei stattgefunden. Dazu gibt es einen starken Willen, diesmal alles zu tun um den Wahlkampf zu gewinnen, was in 2002 und 2008 nicht der Fall war.
Ob die Primaire der erste Schritt zum Sieg in 2012 ist, wird sich im Nachhinein feststellen lassen, auf jeden Fall ist dieser Weg sehr an den Institutionen Frankreichs angelehnt, an der Geschichte der Parti Socialiste, und daher nicht so einfach für die andere sozial-demokratische Parteien in Europa zu übernehmen.
Referenz: Artikel auf DL 21 Forum
Der Slideshow ist ein Bestof meiner Fotos während die Primaires, von der 7 Mai 2011 bis zum 16 Oktober 2011.
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